Ein fatales „Ja“: Wie die AfD Merz vorführt und einen Sieg im Kulturkampf verbucht

„Eine ganz einfache Antwort: Ja." Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) lässt sich bei der Befragung der Bundesregierung von Beatrix von Storch (AfD) vorführen.
Quelle: IMAGO/Political-Moments
Am Wochenende hat AfD-Fraktionsvize Beatrix von Storch die Abgeordneten der Rechtspartei auf einen verschärften Kulturkampf eingeschworen. Durch eine Betonung gesellschafts- und kulturpolitischer Themen solle ein Bruch zwischen dem rechten und linken Lager herbeigeführt und die schwarz-rote Koalition gespalten werden. Wenn sich Union, SPD und Grüne so weit entfremdet hätten, dass sie nicht mehr koalitionsfähig wären, mache das den Weg frei für schwarz-blaue Bündnisse. „Brandmauer stürzen“, „Schwarz-Rot spalten“ sind die Schlagworte dieser Strategie.
Am Mittwochnachmittag im Bundestag zeigte von Storch ihren Fraktionskollegen am lebenden Objekt, wie diese Strategie funktioniert. Und sie fing ganz oben an, bei Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU).
Wortwechsel mit Merz im Bundestag
Brosius-Gersdorf ist ein rotes Tuch für die AfD
In der Regierungsbefragung im Plenum stellte von Storch zwei Fragen zur anstehenden Wahl neuer Verfassungsrichter und -richterinnen. Insbesondere die von der SPD nominierte Potsdamer Juraprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf ist für die AfD ein rotes Tuch. Die 54-Jährige hat ein AfD-Verbotsverfahren als „ganz starkes Signal unserer wehrhaften Demokratie“ begrüßt. Zudem wird sie von Abtreibungsgegnern stark attackiert. Brosius-Gersdorf war in der vergangenen Legislaturperiode stellvertretende Koordinatorin einer von der Bundesregierung eingesetzten Kommission zur Reform des Abtreibungsrechts. Sie sieht gute Gründe dafür, dass die volle Menschenwürde erst ab der Geburt gelte.
Eine „ganz einfache Antwort“ und eine ganz tiefe Falle
Von Storch fragte den CDU-Vorsitzenden: „Ich frage Sie, ob Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren können, Frau Brosius- Gersdorf zu wählen, für die die Würde eines Menschen nicht gilt, wenn er nicht geboren ist?“ Merz versuchte, diese Falle möglichst elegant zu umgehen. Doch dann stolperte er voll hinein. „Über die Tragweite und die Reichweite von Artikel 1, Satz 1 unseres Grundgesetzes, Frau von Storch, würde ich bei anderer Gelegenheit dann gerade mit Ihnen gerne mal diskutieren“, antwortete Merz zunächst.
Übersetzt heißt das vermutlich: Die AfD mit ihren minderheitenfeindlichen Positionen solle sich nicht erdreisten, über Menschenwürde zu sprechen. Aber ein Satz, den nur Juristen verstehen, wirkt auch dann nicht, wenn es um die Besetzung des Verfassungsgerichts geht. Umso weniger wirkt er, wenn dann etwas vordergründig sehr Klares folgt. Merz sagte: „Aber auf Ihre hier gestellte Frage ist meine ganz einfache Antwort: Ja.“
Aus den Reihen der Unionsfraktion rührte sich kaum eine Hand zum Applaus. Fast allen Anwesenden war klar, dass Merz einen kapitalen Fehler begangen hatte. Er hatte die Unterstellungen in der Frage nicht zurückgewiesen, er hat die Position der CDU zum Schutz ungeborenen Lebens nicht herausgestellt - und das im vollen Bewusstsein der massiven Vorbehalte gegen die Personalie Brosius-Gersdorf auch in seiner Fraktion.
Vor allem hätte Merz einfach auf seine vorherige Antwort verweisen können. Von Storch hatte ihn bereits allgemein zur Abstimmung über die drei Nominierten für das Verfassungsgericht gefragt. Und Merz antwortete ganz allgemein: „Ich hoffe, dass sich der Deutsche Bundestag entscheidungsfähig erweist. Denn wenn wir es nicht tun, würde das Recht zur Wahl auf den Bundesrat übergehen. Ich glaube nicht, dass wir das tun sollten. Wir sollten selbst hier auch stark genug sein, eine entsprechende Mehrheit im Deutschen Bundestag für weitere Kandidatinnen und Kandidaten zu finden."
Zur Kandidatin Brosius-Gersdorf sagte er nur, die SPD habe „von ihrem Vorschlagsrecht Gebrauch gemacht“.
Hätte Merz also bei der Nachfrage einfach auf seine erste Antwort verwiesen, hätte er die von der AfD gestellte Falle elegant übersprungen. Aber Merz wollte nicht elegant - und gefährdete damit die Richterinnenwahl am Freitag.
Denn nach seinem fatalen „Ja“ dreht nicht nur die AfD auf, auch rechte Medien wie „Nius“ und „Neue Zürcher Zeitung“ und rechtskonservative Meinungsmacher in den sozialen Netzwerken attackieren Merz frontal. Der rechtsextreme Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke nennt ihn „Merzferatu“ und schreibt auf Telegram: „Eine Union, die den Schutz ungeborenen Lebens aufgibt, hat sich von ihren christlichen Werten verabschiedet. Sie ist zu einem seelenlosen Körper verkommen, verdammt dazu, als von SPD, Grünen und Linkspartei getriebener Untoter in unserem Land umherzuirren und linksextremer Politik die Tür zu öffnen.“
Die „Neue Zürcher Zeitung“ kommentierte: „Dieses „Ja“ wird Friedrich Merz noch lange verfolgen. Der Kanzler verprellt ausgerechnet seine konservativen Wähler". Julian Reichelt, geschasster Ex-„Bild“-Chefredakteur und nun „Nius”-Aushängeschild, fantasiert auf X: „Merz bezieht sich hier klar auf die Fragestelle zur Menschenwürde eines Kindes kurz vor der Geburt.“
Von Storch selbst zeigt auf X das Video aus dem Bundestag, gekürzt um ihre erste Frage und ohne Merz‘ Exkurs zur Menschenwürde, und schreibt: „CDU-Chef Merz ist jetzt faktisch für straffreie Abtreibung bis zum 9. Monat.“
Die AfD-Politikerin wird sich in ihrer Strategie bestätigt fühlen. Der Kampf gegen Abtreibungen ist eins ihrer Kernthemen - schon vor ihrem Aufstieg in der AfD war sie in Kreisen radikaler Abtreibungsgegner unterwegs. In der Partei selbst kann sie sich mit ihrer Haltung weniger gut durchsetzen. Im Wahlprogramm für die Bundestagswahl bezeichnet die AfD die geltende Regelung des Paragrafen 218 als „ausgewogen“, Ein Antrag, Abtreibung zur „absoluten Ausnahme“ zu erklären, scheiterte.