Extrem jung, extrem rechts

So gefährlich sind die neuen Nazi-Kids

Vom Bildschirm auf die Straße: Junge Rechtsextreme zeigen den Hitlergruß bei einer Demonstration im März in Berlin.

Vom Bildschirm auf die Straße: Junge Rechtsextreme zeigen den Hitlergruß bei einer Demonstration im März in Berlin.

Fast ist es schon zum Alltag geworden. Wann immer in Ostdeutschland für Vielfalt und Minderheitenrechte demonstriert wird, wann immer eine „Christopher Street Day“ (CSD)-Parade durch die Straßen zieht, mobilisieren rechtsextreme Jugendgruppen zur Gegendemo. Sie wirken mit ihren Kurzhaarschnitten, Sonnenbrillen und schwarzen T-Shirts so, als würden sie die Kleidungscodes der Vorgängergeneration wieder aufleben lassen.

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Auch zum CSD in Falkensee bei Berlin reisten am vorvergangenen Wochenende rund 60 Jung-Rechte an. Was allerdings neu war: Sie liefen in zwei getrennten Gruppen - und demonstrierten nicht nur gegen Toleranz und Vielfalt, sondern auch gegeneinander. Die Gruppen „Jung & Stark“ und „Chemnitz Revolte“ aus Sachsen hatten mobilisiert, ebenfalls die „Deutsche Jugend voran“ (DJV), deren teils minderjährige Anhänger in einheitlichen T-Shirts mit großem Adleremblem und den Slogans „Aktivistisch - Heimattreu - Kampfbereit“ angereist waren. Während ihres Marschs skandierten die beiden erstgenannten Gruppen nicht nur Parolen gegen den CSD, sondern auch gegen ihre Gesinnungsgenossen: „Niemand hat Bock auf die DJV“.

Wie kommt es zu den neuen Rivalitäten?

Wie kommt es, dass sich die neuen Neonazis untereinander anscheinend nicht grün sind, oder sollte es hier passenderweise heißen: nicht braun? Der „Tagesspiegel” berichtet über Drohungen von DJV-Mitgliedern gegen andere Gruppen und von einer zerbrochenen Liebesbeziehung zweier Kader. Sicher ist nur eins: Der schnelle Mobilisierungserfolg dieser neuen Szene führt zu Rivalitäten - und diese könnten in weiteren Gewalttaten münden.

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„Aktivistisch - Heimattreu - Kampfbereit": Mitglieder der rechtsextremen Gruppe „Deutsche Jugend voran" beim Marzahn Pride.

„Aktivistisch - Heimattreu - Kampfbereit": Mitglieder der rechtsextremen Gruppe „Deutsche Jugend voran" beim Marzahn Pride.

Die Behörden sind alarmiert: Von den neuen Gruppen gehe eine „abstrakte Gefährdung für Leib und Leben” von Linken, Migranten und queeren Menschen aus, teilte das Bundesamt für Verfassungsschutz dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) mit. Der Brandenburger Verfassungsschutz warnt in seinem gerade erschienenen Jahresbericht: „Der Zulauf neuer Anhänger war in den vergangenen Monaten rasant. Sowohl das Aktions- als auch das Gewaltniveau haben sich deutlich erhöht.“ Hier wachse „ganz offenbar etwas Neues heran, das sich alter Strukturmerkmale, Stilistiken und gewaltorientierter Handlungsoptionen bedient.“

Vom Bildschirm auf die Straße

Neu ist vor allem das Zusammenspiel zwischen digitaler Welt und Straße. Rekrutiert wird niedrigschwellig in den sozialen Medien. Bei Tiktok und Instagram teilen Jugendliche offen rechtsextreme Codes und Musik in kurzen Videos, die erst einmal harmlos wirken: Da ist eine junge Frau, die sich mit manikürten Fingernägeln durch das geglättete Haar fährt, die Lippen zu einem Lied bewegt, das im Hintergrund läuft. Eine tiefe Männerstimme singt: „Das Volk vereint zum Schwerte greift“. Auf dem Spiegel im Hintergrund sind Aufkleber zu sehen: „Abschieben schafft Wohnraum“ oder „Auch ohne Sonne braun“. Dazu eine schwarze Sonne, ein rechtsextremes Symbol.

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Wer sich auf Tiktok einmal in den Sog dieser Videos hineinbegibt, den lässt der Algorithmus so schnell nicht mehr los: Der sieht Videos, in denen junge Frauen und Männer vor der Kamera posieren, in Camouflage-Hosen und Springer-Stiefeln, einen Schlauchschal mit Totenkopf-Maske über den Mund gezogen. Jugendliche Hobby-Friseure zeigen, wie man einen ordentlichen Seitenscheitel schneidet.

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Zwischen „Fit-Check“ und „Lip-Sync“ mischen sich eindeutig politische Inhalte: Da marschieren junge blonde Männer durch den Wald, sprechen über ein „korruptes System“ und „psychologische Manipulation auf Staatskosten“, darüber, dass „Heimatliebe, Werte, Identität“, sofort als rechts abstempelt werden.

Die größte Gefahr liegt in der Verbindung von öffentlicher Propaganda und geschlossener Kommunikation.

Bernd Zywietz, Leiter des Bereichs Politischer Extremismus der Fachstelle Jugendschutz.net.

Fachleuten bereiten diese rechtsextremen Jugendgruppen und ihre Social-Media-Aktivitäten Sorgen. „Tiktok ist durch seinen Algorithmus besonders problematisch. Mit wenigen Interaktionen gerät man schnell in ideologische Filterblasen, in die kaum noch gegensätzliche Inhalte durchdringen“, sagt Bernd Zywietz, Leiter des Bereichs Politischer Extremismus der Fachstelle Jugendschutz.net. „Die größte Gefahr liegt in der Verbindung von öffentlicher Propaganda und geschlossener Kommunikation“, erklärt er. „Erst wird Aufmerksamkeit erzeugt, dann erfolgt über Messenger-Dienste der Einstieg in persönliche Kontakte – vergleichbar mit Strategien aus dem islamistischen Bereich.“

Oberflächlich wirkten viele der Gruppen harmlos, zeigten sich gemäßigt, um Tiktok und anderen keinen Anlass zu geben, ihre Konten zu sperren, sagt Zywietz. „In den geschlossenen Kanälen sieht das aber ganz anders aus – da werden verfassungsfeindliche Inhalte geteilt, gegen Minderheiten gehetzt und zum Teil sogar Anschläge geplant.“

Gewalt steht im Vordergrund - und manchmal sogar Terror

Und es bleibt nicht bei Planungen. In der Nacht auf den 23. Oktober 2024 geht das Kulturhaus „Kultberg“ im brandenburgischen Altdöbern in Flammen auf. Als die Feuerwehr eintrifft, steht das Gebäude schon im Vollbrand und ist nicht mehr zu retten. Die Ermittler gehen schnell von Brandstiftung aus – und nehmen wenige Monate später, im Februar 2025, zwei Tatverdächtige fest: Sie sind beide 15 Jahre alt und rechtsextrem.

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Im Mai 2025 wird dann klar: Die zwei Jugendlichen sind offenbar Teil einer größeren Gruppe junger Neonazis, die auch Anschläge auf Geflüchtete verüben wollten. Ihr selbst gegebener und äußerst pathetisch klingender Name: „Letzte Verteidigungswelle“. Die Brandstiftung filmten sie, um die Gesinnungsgenossen im Chat ebenfalls zu Taten anzustacheln. Ihre mutmaßlichen Pläne sind so besorgniserregend, dass der Generalbundesanwalt (GBA) in Karlsruhe die Ermittlungen übernimmt.

Fünf Verdächtige in drei Bundesländern werden festgenommen. Sie sind zwischen 14 und 18 Jahre alt. Vier der Festgenommenen wirft der GBA die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor, einem die Unterstützung einer solchen Vereinigung.

Nicht alle der jungen Neonazigruppen, die im letzten Jahr bundesweit wie Pilze aus dem Boden geschossen sind, haben das Potenzial zur terroristischen Vereinigung. Doch Gewalt steht bei vielen im Vordergrund.

Finley P., JN-Chef und Mitglied der Nazigruppierung „Elblandrevolte", im September 2024 bei einer Gegendemonstration zum Christopher Street Day in Görlitz.

Finley P., JN-Chef und Mitglied der Nazigruppierung „Elblandrevolte", im September 2024 bei einer Gegendemonstration zum Christopher Street Day in Görlitz.

Eine zentrale Figur dieser Szene war lange Finley P. Der junge Mann mit den kurzen blonden Haaren war Anführer der Dresdner „Elblandrevolte“, einem Ableger der „Jungen Nationalisten“. So nennt sich die Jugendorganisation der Neonazi-Partei „Die Heimat“ (ehemals NPD). P. nutzte Instagram, Telegram und auch Tiktok lange als Bühne. In einem Livestream im Oktober 2024 erklärte er, worum es hier aus seiner Sicht geht: von gesellschaftlichen Veränderungen zu profitieren.

Ernten, was die AfD gesät hat

Früher sei Linkssein cool gewesen, das habe sich gedreht, sagt er. Die AfD habe es geschafft, durch soziale Medien Jugendliche zu beeinflussen: „Nur muss man jetzt darauf achten, dass man die ganzen Jugendlichen, die nun da sind, die Interesse haben, jetzt nicht sinnlos verbrennt. Wenn du die Jugendlichen ein bisschen an die Hand nimmst, denen was beibringst, etablierte Leute an die Seite stellst, dann wird das was“.

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Kurz vor Weihnachten 2024 soll Finley P. dann selbst zur Tat geschritten sein. Die Staatsanwaltschaft Görlitz wirft ihm vor, mit anderen eine Gruppe linker Aktivisten angegriffen zu haben. Drei Personen aus der attackierten Gruppe wurden verletzt. P. saß bis vor Kurzem in Untersuchungshaft, kam dann unter Auflagen frei.

Sein Online-Einfluss beschränkte sich nicht auf Ostdeutschland. Im Szenemagazin „N.S. heute“ lobt eine „Lina“ von „Jung&Stark NRW“ den Einfluss von „Internetpersönlichkeiten wie Finley“, die dazu beigetragen haben, „junge Menschen vom Bildschirm auf die Straße zu holen“.

„Diese Gruppen setzen verstärkt auf Regionalisierung“, erklärt Jugendschützer Bernd Zywietz. „Sie werben mit dem Versprechen von Gemeinschaftsaktivitäten vor Ort – ob Wanderungen oder Treffen in sogenannten Lost Places, zum Beispiel leeren Fabrikhallen. Online- und Offline-Welt sollen miteinander verknüpft werden.“ Auf Onlineplattformen könnten Kinder und Jugendliche von Rechtsextremen gezielt angesprochen und in private Kanäle gezogen werden. „Ein Bild von sich an eine Gruppe zu schicken, kann schon ausreichen, um sich persönlich zu involvieren“, warnt Zywietz. Das mache es auch schwerer, solche Strukturen wieder zu verlassen.

Hohe Aufmerksamkeit: Mitglieder der Jungen Nationalisten (JN)  demonstrieren im Mai gegen den CSD in Dresden.

Hohe Aufmerksamkeit: Mitglieder der Jungen Nationalisten (JN) demonstrieren im Mai gegen den CSD in Dresden.

Besonders viel Aufmerksamkeit erzielte Finley P. und die „Jungen Nationalisten“(JN) im vergangenen Jahr mit Demonstrationen gegen „Pride“-Veranstaltungen der LGBTQ-Community. Kinder und Jugendliche kamen dort in Kontakt mit rechtsextremen Kadern: Etwa in Bautzen, wo Neonazis aus ganz Deutschland anreisten und Teilnehmer des „Christopher Street Day“ einschüchterten. Die JN, einst eher unbedeutend, gilt vor allem in Sachsen mittlerweile als eine der wichtigsten Gruppierungen. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht heißt es, sie habe ihre Jugendarbeit professionalisiert, die Zahl der Mitglieder sei gestiegen.

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„Einige haben Eltern, die exakt den Milieus entstammen“

Immer wieder gibt es regelmäßige Treffen, die geheim gehalten werden. Die Jugend der rechtsextremen „Heimat“ ist eine der Brücken zwischen dem „alten“ Neonazismus und den Jugendgruppen neuen Typs. Eine andere ist die „Nationalrevolutionäre Jugend“ (NRJ), die Nachwuchsorganisation der Kleinstpartei „Dritter Weg“. Diesen Parteien kommt die Entstehung vieler neuer Gruppen sehr gelegen.

Auf Tiktok kommentiert der Parteiaccount des „Dritten Wegs“ auch direkt unter die Beiträge des Neonazi-Nachwuchses. Unter einem Video, das einen jungen Mann beim Boxen zeigt, heißt es: „Sehr stark! Unsere AG: Körper und Geist wäre bestimmt etwas für dich“. Wenige Tage später postet der Jugendliche ein Bild, von T-Shirts und Aufklebern mit dem Konterfei des „Dritten Wegs“.

Die Akteure sind teilweise auffällig jung und einige haben Eltern, die exakt den Milieus entstammen, deren Merkmale nun nach Jahren von ihren Kindern adaptiert und weiterentwickelt werden.

Aus dem aktuellen Bericht des Brandenburger Verfassungsschutzes

Von den Eltern ist nicht immer Widerstand gegen das Abdriften ihrer Kinder zu erwarten. Im Gegenteil. Manchmal setzen sie sogar deren Weg fort, hat der Brandenburger Verfassungsschutz festgestellt. „Die Akteure sind teilweise auffällig jung und einige haben Eltern, die exakt den Milieus entstammen, deren Merkmale nun nach Jahren von ihren Kindern adaptiert und weiterentwickelt werden“, heißt es im aktuellen Bericht. Und als Fazit steht dort: „Aktuell muss von einem Anwachsen dieser Bestrebung ausgegangen werden und damit ebenso von einer Zunahme entsprechender auch schwerster Gewaltstraftaten.“

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