Neustart im Pazifik: Paris definiert Verhältnis zu Neukaledonien neu

Der französische Präsident Emmanuel Macron bei einem Besuch in Neukaledonien im Mai 2024.
Quelle: Ludovic Marin/AFP Pool via AP/dp
Sydney. Es ist ein Schritt von historischer Tragweite – politisch wie symbolisch: Frankreich und Vertreter Neukaledoniens haben sich auf ein Abkommen geeinigt, das dem Überseegebiet im Pazifik mehr Eigenständigkeit verleiht, ohne die Zugehörigkeit zur Französischen Republik infrage zu stellen. Das Abkommen sieht vor, Neukaledonien künftig als „Staat innerhalb der Republik“ zu führen – ein neuartiger Status, der auch international anerkannt werden könnte.
Der französische Präsident Emmanuel Macron sprach von einem „Vertrauensvorschuss“ und einem „neuen Kapitel“ in den Beziehungen. „Nach mehr als zehn Tagen Gesprächen haben die gewählten Vertreter Neukaledoniens und die Vertreter des Staates eine historische Vereinbarung getroffen“, erklärte Macron auf der Plattform X. „Ein Staat Neukaledonien innerhalb der Republik – das ist eine Wette auf Vertrauen.“ Jetzt sei die Zeit gekommen für Respekt, Stabilität und das Zusammenführen guter Kräfte, um eine gemeinsame Zukunft aufzubauen.
Bei einem persönlichen Treffen mit den neukaledonischen Vertreterinnen und Vertretern sagte Macron laut der Nachrichtenagentur AFP: „Nach zwei Abkommen und drei Referenden eröffnet Neukaledonien mit Ihrer Unterschrift ein neues Kapitel – in einem friedlichen Verhältnis zu Frankreich.“
Bürgerkriegsähnliche Zustände
Das neue Abkommen ist nicht nur innenpolitisch relevant – es ist auch als eine direkte Reaktion auf die dramatischen Unruhen im Mai 2024 zu sehen, bei denen es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kam. Ausgelöst wurden die Proteste durch eine geplante Wahlrechtsreform aus Paris, die langjährigen, aber nicht indigenen Bewohnern das Stimmrecht bei Provinzwahlen einräumen sollte. Vor allem junge Kanaken – die indigene Bevölkerung – sahen darin eine existenzielle Bedrohung für ihren politischen Einfluss und den Traum von Unabhängigkeit.

Tagelange Proteste forderten im Mai 2024 Tote und Verletze.
Quelle: IMAGO/ABACAPRESS
Bereits zuvor hatten drei Unabhängigkeitsreferenden – 2018, 2020 und zuletzt 2021 – eine Abspaltung Neukaledoniens von Frankreich abgelehnt. Doch das letzte Referendum gilt als besonders umstritten: Es wurde von weiten Teilen der indigenen Bevölkerung boykottiert – mit Verweis auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Kanak-Gemeinschaft. Im Mai 2024 entlud sich der angestaute Unmut in massiver Gewalt: Es kam zu Plünderungen, Straßensperren und schweren Sachschäden, der Flughafen wurde geschlossen, Urlauber mussten evakuiert werden, mehrere Menschen starben. Die wirtschaftlichen Schäden beliefen sich auf mindestens zwei Milliarden Euro. Paris sprach im Nachhinein sogar von fünf Milliarden, die für den Wiederaufbau nötig seien. Macron reagierte damals entschlossen: Über 3000 zusätzliche Sicherheitskräfte wurden in die Hauptstadt Nouméa und andere Regionen entsandt. Der Ausnahmezustand wurde erst nach zwei Wochen wieder aufgehoben.
Frankreichs Präsenz im Indopazifik
Die Gewalt war die schlimmste seit den 1980er Jahren – und offenbarte, wie tief der Konflikt zwischen dem französischen Staat und weiten Teilen der indigenen Bevölkerung bis heute reicht. Bereits 2018 hatte Macron bei einem Besuch betont, welche außenpolitische Bedeutung Neukaledonien für Frankreich hat. Der Archipel ist Teil einer globalen französischen Präsenz, die Paris im Indopazifik zur strategischen Macht macht – nicht zuletzt im Kontext geopolitischer Spannungen mit China. Der französische Senator Claude Malhuret hat bereits gewarnt: „China wartet darauf, dass Neukaledonien wie eine reife Frucht in seine Hände fällt.“
Neukaledonien mit seinen 270.000 Einwohnerinnen und Einwohnern (Stand der letzten Volkszählung von 2019) ist nicht nur strategisch bedeutend – es verfügt über einen großen Teil der weltweiten Nickelreserven sowie Vorkommen an Kobalt, Chrom, Kupfer, Mangan und Gold – Rohstoffe, die für die Energiewende weltweit begehrt sind.
Ist ein Wendepunkt in Sicht?
Die sozialen Spannungen vor Ort sind jedoch tiefgreifend. Die Arbeitslosen- und Armutsquote unter der indigenen Bevölkerung ist deutlich höher als bei französischstämmigen Einwohnerinnen und Einwohnern – 2019 lag die Armutsquote bei den Kanaken bei 32,5 Prozent, bei Nicht-Kanaken bei neun Prozent. Vertreter der Unabhängigkeitsbewegung wie Jimmy Naouna vom Front de Libération Nationale Kanak et Socialiste (FLNKS) machten bereits vor den Unruhen darauf aufmerksam, dass der gesellschaftliche Druck „kurz vor dem Überkochen“ stehe.
Mit dem neuen Abkommen könnte es nun tatsächlich zu einem Wendepunkt kommen. Es sieht unter anderem vor, dass künftig nur noch Personen wählen dürfen, die seit mindestens zehn Jahren auf dem Archipel leben. Zudem soll es eine neue, neukaledonische Staatsangehörigkeit geben, die mit der französischen kombiniert werden kann. Der neue Status eines „Staates Neukaledonien“ soll in der französischen Verfassung verankert werden. Zugleich kündigte Paris ein umfassendes wirtschaftliches Wiederaufbauprogramm an, das insbesondere Investitionen in die Nickelindustrie vorsieht.
Referendum für 2026 geplant
Das Abkommen muss noch durch beide Kammern des französischen Parlaments bestätigt werden – eine Abstimmung ist für das vierte Quartal 2025 geplant. Im Jahr 2026 soll die Bevölkerung Neukaledoniens dann in einem Referendum über die Umsetzung des neuen Status entscheiden.
Doch ob dieser Schritt den jahrzehntelangen Konflikt lösen kann, bleibt abzuwarten. Bereits im vergangenen Jahr betonte Alcide Ponga, Vertreter der profranzösischen Partei Rassemblement und seit Januar Präsident Neukaledoniens, dass der Status quo nicht mehr haltbar sei. „Wir müssen eine Lösung finden“, sagte er. Gleichzeitig warnte er mit Blick auf radikale Tendenzen innerhalb der Unabhängigkeitsbewegung: „Sie haben ein Monster kreiert, und jetzt will das Monster Chef werden.“ Ob das neue Abkommen ausreicht, um „das Monster zu zähmen“ – oder gar zu integrieren – muss sich nun in den kommenden Jahren zeigen.