Zwischen Wut, Kälte und Hass: Eine denkwürdige Debatte mit Merz und Weidel

Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende der AfD, spricht in der Generaldebatte zum Haushalt im Plenum des Bundestags vor Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU).
Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Berlin. Alice Weidel darf vor dem Kanzler ans Rednerpult. In einer Generaldebatte über den Bundeshaushalt hat immer die stärkste Oppositionsfraktion das erste Wort. Das Bild und die Stimmung im Bundestag haben sich mit der Wahl im Februar verändert. Die in Teilen rechtsextreme AfD hat sich weit ausgebreitet, auch die Linke auf der anderen Seite des Parlaments ist gewachsen, dazwischen liegen die stabilisierte Union, die geschrumpfte SPD und die verkleinerten Grünen.
Es wird eine scharfe Debatte. Das Haushaltsrecht gilt als „Königsrecht“ des Parlaments, aber höflich geht es nicht zu, und es geht auch wenig um Finanzen. Doch womöglich hilft der Schlagabtausch zur Orientierung zwischen Hass und Zusammenhalt, Unverschämtheit und Anstand, Lüge und Wahrheit.
„Lügenkanzler“ - Klöckner warnt Weidel
Kurz nach dem Gongschlag geht also die AfD-Chefin ans Pult. Benimmregeln gab sich ihre Fraktion jüngst. Sie kassiert bisher im Parlament die meisten Ordnungsrufe für unflätige Bemerkungen, nun will sie angeblich gemäßigter auftreten. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner wird die Fraktionschefin jedoch wieder ermahnen, andere nicht persönlich herabzuwürdigen und nicht der Lüge zu bezichtigen. Aber nicht jeder kann Klöckner hören - der Applaus der AfD-Fraktion für ihre Vorsitzende ist extra laut.
Weidel wirft Friedrich Merz Realitätsflucht vor, weil er Deutschland bei internationalen Gipfeln vertreten und Antrittsbesuche von Paris bis Washington unternommen hat. Sie behauptet, mit seiner Finanzpolitik habe er schon „seinen nächsten Aufsichtsratsposten klargemacht“.
Auf der Regierungsbank schütteln der Kanzler und sein Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) den Kopf. Ebenso Innenminister Alexander Dobrindt (CSU), als Weidel trotz seiner umstrittenen Grenzkontrollen zur Bekämpfung der illegalen Migration eine Politik „der offenen Grenzen“ beklagt. Und dann nennt sie Merz noch einen „Lügenkanzler“.
Merz lässt sich reizen, schimpft über Weidels „üble Nachrede“ und versucht auffallend oft, ihre Vorwürfe zu entkräften. Gelassenheit wirkt anders. Beifall bekommt er aber von unerwarteter Seite: Als er beklagt, Weidel habe weder ein Wort über die brutalen russischen Angriffe auf die Ukraine noch über internationale Politik allgemein verloren, klatscht selbst Grünen-Urgestein Claudia Roth.

Olaf Scholz SPD, Altkanzler, während der Generaldebatte zum Haushalt in der letzten Reihe des Bundestags.
Quelle: IMAGO/
Die Sozialdemokraten umarmt Merz mit einem ausdrücklichen Dank für die Aussetzung des Familiennachzugs für eingeschränkt schutzbedürftige Geflüchtete - wofür er nur betretende Stille in ihren Reihen erntet.
Der AfD prophezeit er, dass sie „jetzt langsam ihr politisches Kampfthema“, die Migrationspolitik, verliere, der sie ihre Existenz verdanke. Auch das Bürgergeld werde Schwarz-Rot reformieren, „aber nicht mit Ausländerfeindlichkeit“.
Scholz verkrümelt sich in die letzte Reihe
Den viel kritisierten Bruch des Versprechens, auch für Privathaushalte die Stromsteuer zu senken, verteidigt er so: „Von den möglichen 200 Euro pro Familie und Jahr (...) für die Entlastung bei den Energie- und Stromkosten, machen wir jetzt 150 Euro im Jahr möglich.“ Aber weiß Merz wirklich, was für manche Familien 50 Euro bedeuten?
Olaf Scholz verkrümelt sich während der Rede seines Nachfolgers in die letzte Reihe und unterhält sich mit einem Parteikollegen.
Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge macht aus ihrer Enttäuschung über ihren Duzfreund Klingbeil keinen Hehl. 69 Prozent der Steuersenkungen gingen an das eine reiche Prozent der Bevölkerung. Aber Investitionen, etwa für Barrierefreiheit, würden gekürzt. „Ich hatte gedacht, du nimmst dieses Finanzministerium, weil du was anders machen willst“, schleudert sie ihm entgegen. Der SPD-Chef schüttelt wieder mit dem Kopf.
Es scheint an diesem Tag die Hauptregung der Kritisierten zu sein. Auch Ex-SPD-Chefin Saskia Esken bewegt ihr Haupt entsprechend, als Dröge von einem schmerzlichen Rückschritt beim Klimaschutz spricht und ruft: „Das macht mich wirklich wütend.“
Schneller als Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek kann kaum jemand sprechen, aber sie macht das Zuhören leicht: „Es ist ein Haushalt der Hoffnungslosigkeit“, „Die SPD geht in der Koalition unter“, Weidel habe „pure Heuchelei” abgeliefert.

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In seiner Erwiderung auf Weidel bemüht SPD-Fraktionschef Matthias Miersch einen Titel des Schlagerstars Roland Kaiser: „Was hat dir dein Herz gestohlen?“ Spürbar angewidert von Weidels Äußerungen über Migranten fragt Miersch: „Wie kann man so eiseskalt und so hasserfüllt eine solche Rede halten.“ Er macht sich erneut für ein AfD-Verbotsverfahren stark. Sie wolle eine „Transformation des Staatsvolks“. „Das erinnert mich an alte Zeiten, wo es um Rassenlehre ging“, mahnt Miersch. Aus der AfD-Ecke ertönt ein höhnisches „Ooohhh.“
Unionsfraktionschef Jens Spahn keilt in seiner Rede, in der er selbst seine umstrittene Maskenbeschaffung als Gesundheitsminister zu Corona-Zeiten anspricht, gegen Zwischenrufe der AfD aus: „Hatten Sie sich nicht neue Regeln gegeben?“ Klöckner droht Weidel mit Rausschmiss aus dem Saal.
Spahn versichert, dass ihn bei der Maskenbeschaffung die Frage von Versäumnis und Schuld „für immer begleiten wird, weil ich sie mir selber stelle“. In einem Wortgefecht mit dem Grünen-Politiker und Arzt Janosch Dahmen erinnert Spahn ihn aber daran, dass auch er in den damals häufigen Gesprächen nie davor gewarnt habe, zu viele Masken zu besorgen. Er habe jedenfalls ein reines Gewissen, sagt Spahn. Dann könne er doch auch einen Untersuchungsausschuss unterstützen, entgegnet Dahmen.
An die stundenlange Debatte schließt sich eine Stunde Befragung des Kanzlers an. Die AfD hat viele Fragen. Als es ihr um die Menschenwürde ungeborenen Lebens geht, antwortet Merz, er würde gern bei anderer Gelegenheit einmal über die grundsätzliche Haltung der AfD zur Menschenwürde sprechen. Da ist der Beifall parteiübergreifend für ihn groß.