Na, heute wieder nichts geschafft?

"Der hohe Anteil der Arbeitszeit, die wir mit Koordination der Arbeit verbringen, hält uns davon ab, echte Arbeit zu leisten", sagt Arbeitspsychologe Markus Väth.
Quelle: IMAGO/YAY Images
Am Ende eines Tages ist die To-do-Liste oft genauso lang wie am Morgen, wenn nicht sogar länger. Diese gefühlte Wahrheit aus dem Arbeitsleben lässt sich jetzt auch durch Zahlen untermauern. Laut einer Deloitte-Studie haben 68 Prozent der Beschäftigten zu wenig Zeit, um sich auf ihre wesentlichen Aufgaben zu konzentrieren. Fast die Hälfte ihrer Arbeitszeit verbringen sie mit nicht wertschöpfenden Tätigkeiten.
„Wir kommen vor lauter Arbeit nicht mehr zum Arbeiten“, heißt es in einer Pressemitteilung der Strategieberatung. Für die Studie wurden 13.000 Führungskräfte aus 93 Ländern befragt.
Digitale Tools machen Arbeit komplizierter
Der Autor und Unternehmer Markus Albers kommt zu einem ähnlichen Befund. Gerade ist sein Buch „Die Optimierungslüge“ erschienen. „Wir verbringen heute viel Zeit damit, unsere Arbeit zu organisieren: Was muss getan werden? Wer macht was? Und wenn der Tag vorbei ist, merken wir: Jetzt müsste es eigentlich auch noch jemand tun.“
Albers kritisiert, dass die vermeintliche Optimierung der Arbeit durch neue Technologien nicht zu mehr Effizienz geführt hat – sondern dazu, dass viele kaum noch zu ihren eigentlichen Aufgaben kommen. „Wir konnten in den vergangenen Jahren eine Überbetonung von digitalen Tools, Videocalls und Prozessen beobachten.“ Es gebe häufig keinen Anfang und kein Ende mehr. „Jeder Tag sieht gleich aus, aber wir bekommen nichts so richtig fertig“, sagt Albers. Menschen seien aber anders gestrickt: „Wir möchten auch mal etwas abschließen und darauf stolz sein.“

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Menschen wollen den Wert ihrer Arbeit erkennen
Friedericke Hardering forscht an der FH Münster zu Sinnerleben und Digitalisierung in der Arbeitswelt. Menschen erleben Sinn in ihrer Arbeit, wenn sie das Gefühl haben, in Übereinstimmung mit den eigenen Werten und Zielen zu sein. Wenn sie das, was sie wichtig und wertvoll finden, auch in ihrer Arbeit umsetzen können, sagt sie. Man selbst sein können, sich weiterentwickeln, dazulernen und Teil einer Gemeinschaft sein – darauf komme es an, damit Menschen ihre Arbeit erfüllend finden. Kann die immer digitaler und fragmentierter werdende Arbeitswelt das überhaupt noch bieten?
„Eine häufige Leidenserfahrung von Beschäftigten ist, dass sie das Gefühl haben, zum Eigentlichen der Arbeit gar nicht mehr zu kommen“, sagt Hardering. Hätten Beschäftigte das Gefühl, kleinteilige Aufgaben zu erledigen und nicht voranzukommen, wirke sich das negativ auf das Sinnerleben aus. Wichtig für Zufriedenheit und Sinnerleben sei, dass Menschen eine Aufgabe vollständig erfüllen können und ihre Leistung in einem größeren zeitlichen Zusammenhang wahrgenommen werden kann. Dabei gehe es um das Gefühl, zu einem Fortschritt beizutragen.
Beschäftigte müssen lernen, asynchron zu arbeiten
Wenn Arbeit nur noch aus E-Mails, Bürokratie und Prozessen bestehe, sei das frustrierend, sagt der Arbeitspsychologe Markus Väth. „Der hohe Anteil der Arbeitszeit, die wir mit Koordination der Arbeit verbringen, hält uns davon ab, echte Arbeit zu leisten, die für uns sinnvoll und für andere wirksam ist“, sagt er.
Eine besondere Herausforderung der heutigen Arbeitswelt bestehe darin, dass häufig viele Mitarbeitende an einem Projekt beteiligt seien, die aber zu unterschiedlichen Zeitpunkten daran arbeiten – oft über Zeitzonen hinweg. „Arbeit ist nicht mehr an feste Orte gebunden. Dadurch wird es schwer, verschiedene Zeiten zu synchronisieren“, sagt Väth.
Der hohe Anteil der Arbeitszeit, die wir mit Koordination der Arbeit verbringen, hält uns davon ab, echte Arbeit zu leisten, die für uns sinnvoll und für andere wirksam ist.
Markus Väth, Arbeitspsychologe und Autor
Beschäftigte müssen sich noch an diese erhöhte räumliche Mobilität gewöhnen. Doch das asynchrone Arbeiten habe viele Vorteile: Jeder könne an einer Aufgabe arbeiten, wenn es ihm gerade passt. Der Zwang, sich ständig in Meetings abzustimmen, damit alle auf dem gleichen Stand sind, entfalle. Das ermöglicht den Beschäftigten mehr Flexibilität und Unabhängigkeit. Sie können konzentriert an einer Sache arbeiten und gewinnen Kontrolle über ihre Zeit. In einer entgrenzten Arbeitswelt werde das immer wichtiger, sagt Väth. In seinem neuen Buch „Radikal arbeiten“ plädiert er dafür, wieder an der Wurzel einer Tätigkeit anzusetzen: Rückkehr zum Wesentlichen, statt im täglichen Chaos zu versinken. Doch wie gelingt das?
Weglassen statt hinzufügen
Der Autor und Berater Martin Gaedt hat dafür die „Delete-Strategie“ entwickelt. Er ist überzeugt, dass wir kein besseres Zeitmanagement und auch keine weiteren Werkzeuge zur Effizienzsteigerung benötigen. Im Gegenteil bräuchten wir weniger von all dem. „Nicht mehr Aufgaben und nicht mehr Projekte, sondern: Was lassen wir weg?“
Es gehe um Entlastung durch regelmäßiges Streichen von allem, was überflüssig ist. „So gewinnen wir Zeit, Fokus und Energie für wertvolle Aufgaben.“ Besonders wirksam sei das Weglassen, wenn Aufgaben und Prozesse im gesamten Unternehmen ausgemistet werden, erklärt Gaedt. „Keine Tätigkeit wird dauerhaft gleich viel Wert zur Strategie einer Firma beitragen. Was kann raus? Welche Produkte, welche ungenutzten Funktionen einer Software, welche Öffnungszeiten und Formulare, welche überflüssigen Prozesse und Gesetze sind Müll?“
Wenn Unternehmen sich gezielt damit beschäftigen, wertlose Tätigkeiten auszusortieren, fördere das die Motivation und Freude der Mitarbeitenden, sagt Gaedt. Die entscheidende Frage sei nicht: Was fehlt den Mitarbeitenden – sondern was ist ihnen zu viel?