Sagrada Família: Bald höchster Kirchturm der Welt entsteht in Barcelona

Der 14. Turm: Der Jesus-Christus-Turm wächst in den Himmel.
Quelle: IMAGO/NurPhoto
Die Sagrada Família ist auch eine Kirche. In der Krypta sitzen Menschen ins Gebet vertieft. Samstags und sonntags sind Gottesdienste. Sonst ist hier Rummelplatz, der schönste Rummelplatz Europas.
„O wow, this is amazing!“, ruft eine US-Amerikanerin aus. „Sie ist noch beeindruckender, als ich mir vorgestellt hatte“, sagt eine Münchner Familienmutter von drei Kindern. Ihr Gesicht strahlt sanft. Sie legt ihren Kopf in den Nacken. Alle legen den Kopf in den Nacken, um den Blick über Stein und Glas schweifen zu lassen.
Alle zücken ihre Telefone, wie auch nicht. Dieses Licht. Diese Formen. Diese Farben. „Sie ist anders als andere Kirchen“, sagt die Münchnerin. Von drinnen schöner als von draußen. Der englische Schriftsteller und Essayist George Orwell hätte sie gern abgerissen. Da hätte die Welt was verpasst.

Buntglasfenster im Inneren der Sagrada Família in Barcelona.
Quelle: IMAGO/Cavan Images
Sagrada Família: Spaniens meistbesuchte Sehenswürdigkeit
Letztes Jahr kamen 4,8 Millionen Besucherinnen und Besucher, mehr als je, viel mehr sollen es nicht mehr werden. Die Sagrada Família ist voll. Wer sie besuchen will, sollte spätestens drei Monate im Voraus buchen. Alle Viertelstunde ist Einlass, man darf so lange bleiben, wie man will. Die meisten bleiben eineinviertel bis anderthalb Stunden, dann haben sie sich sattgesehen. „Daran werden sich auch meine Kinder noch erinnern“, sagt die Münchner Mutter.
„Eine wunderbare Synthese aus Technik, Kunst und Glauben“ nannte Papst Benedikt XVI. die Sagrada Família, als er sie vor 15 Jahren zur Basilika erklärte (was ein Ehrentitel ist, eine Art Nobilitierung, die weiter nichts bedeutet). Doch die päpstlichen Worte, wie fast alle Worte, scheitern bei der Beschreibung des Baus. Er ist der Stein gewordene Traum ihres Schöpfers, des Architekten Antoni Gaudí. Der ist vor 99 Jahren gestorben, von einer Straßenbahn überfahren.

Magnet für Millionen: So beliebt ist die Sagrada Família.
Quelle: IMAGO/Robert Poorten
Gaudís Vision: Architektur zwischen Glaube und Genie
Gaudí gab sich bescheiden, aber er war es nicht. Das Menschenwerk dürfe nicht das Gotteswerk überragen, sagte er. Deswegen plante er für den zentralen Turm seiner Kirche, den Jesus-Christus-Turm, der gerade fertig gebaut wird, eine etwas geringere Höhe als die des Barcelonaer Hausberges Montjuïc.
Der Montjuïc ist 173 Meter hoch, der Jesus-Christus-Turm wird 172,5 Meter hoch sein und damit der höchste Kirchturm der Welt: Elf Meter höher als der des Ulmer Münsters, der immerhin 135 Jahre lang den noch geltenden Rekord gehalten hat.
Andere Kirchen haben einen Turm oder zwei, die Sagrada Família bekommt mit dem Jesus-Christus-Turm ihren vierzehnten. Gaudí wollte es groß. Er war ein gläubiger Mann, aber er glaubte auch an seine eigene Sendung. Die Sagrada Família sollte sein Meisterwerk werden, zum Ruhme Gottes und zum Ruhme Gaudís. Seine letzten zwölf Lebensjahre widmete er nur noch dieser Kirche. Er wusste, dass er sie selbst nicht mehr vollendet sehen würde, so wie es fast allen Kirchenbaumeistern vor ihm ging. Aber er hinterließ Pläne und Modelle und Anweisungen an seine Schüler, die in Gaudís Sinne weitergebaut haben.

Der Ausblick vom Turm der Passionsfassade auf die Innenstadt von Barcelona und hin zum Hafen am Mittelmeer.
Quelle: IMAGO/imagebroker
Jordi Faulí, derzeitiger Chefarchitekt der Sagrada Família, versteht sich selbst nicht als Erben oder Nachfolger Gaudís, sondern als dessen „Mitarbeiter“. Kritikerinnen und Kritiker wie Bewunderer und Bewunderinnen treibt diese Frage um: Wie viel wahrer Gaudí steckt in der Sagrada Família? Als spielte das eine Rolle. Der Name erhebt sich über das Werk, was eine neuzeitliche Marotte ist.
Noch zu Lebzeiten stellte Gaudí von seiner Kirche so viel in die Barcelonaer Landschaft, dass man keinesfalls an ihr vorbeischauen konnte. Er begann nicht mit dem Kirchenschiff, sondern mit einer der Fassaden, der Fachada del Nacimiento mit vier Türmen (von denen bei Gaudís Tod der erste vollendet war), die fremd und beziehungslos und seltsam reizvoll in den Himmel ragten. Der Schriftsteller George Orwell verspottete sie als „Rheinweinflaschen“, hatte aber keinen Einfluss auf den Fortgang der Bauarbeiten. Die gingen erst langsam, dann immer schneller voran.
Ein Bau für die Ewigkeit – finanziert von den Besuchern
Mit den Olympischen Spielen von 1992 wurden erst Barcelona und dann die Sagrada Família weltberühmt, Jahr für Jahr kamen mehr Besucherinnen und Besucher und ließen immer mehr Eintrittsgeld da, mit dem der Weiterbau bezahlt wurde. Nicht die katholische Kirche und nicht die öffentliche Hand finanzieren den Bau der Sagrada Família, sondern ihre Besucherinnen und Besucher.
Eine Delle gab’s 2020 mit der Corona-Pandemie, als die Menschen in Barcelona die Sagrada Família für kurze Zeit für sich hatten, aber der Bau stockte, weil das Geld fehlte. Das Tal ist durchschritten, die Auswärtigen kommen wieder: aus den USA (18,55 Prozent aller Besucherinnen und Besucher), aus dem Rest Spaniens (12,67 Prozent), aus Frankreich (6,93 Prozent), aus Italien (6,53 Prozent), aus Südkorea (6,18 Prozent). Die Deutschen verzeichnen unter ferner liefen, sie liegen am Ballermann am Strand. Das Geld fließt, und der Jesus-Christus-Turm wächst in die Höhe.

Die Sagrada Família ist Spaniens meistbesuchte Sehenswürdigkeit.
Quelle: IMAGO/imagebroker
2026 als Ziel: Turm-Weihe zum 100. Todestag von Antoni Gaudí geplant
Nächstes Jahr, am 10. Juni 2026, zum 100. Todestag Gaudís, soll er geweiht werden. Vielleicht kommt auch der Papst wieder, jetzt Leo XIV., um eine der beliebtesten Kirchen der Welt mit seiner Anwesenheit zu schmücken.
Zur Krönung des Turmes fertigt der deutsche Fassadenbauer Gartner in Gundelfingen im bayerischen Schwaben gerade ein Kreuz. Ein Kreuz in Gaudí-Maßstäben: 17 Meter hoch, 100 Tonnen schwer, mit vier statt mit zwei Armen, die sich von Ende zu Ende 13 Meter weit ausspannen und begehbar sein werden. Etwa ein Dutzend Besucherinnen und Besucher werden gleichzeitig durch die Fenster des Kreuzes über Barcelona blicken können, etwa 1000 am Tag von den 14.000, die sich täglich die Sagrada Família anschauen. O wow, this is amazing. Und abends wird das Kreuz von innen her strahlen, über den schönsten Rummelplatz Europas.
Der Jesus-Christus-Turm wird der Silhouette der Sagrada Família ihre einst von Gaudí erdachte Form geben: die eines übermächtigen Baus, der sich wolkenkratzerhoch, gut halb so hoch wie der Eiffelturm, über die Stadtlandschaft von Barcelona erheben und sie dominieren wird. Doch wird der Bau damit nicht fertig sein.
Das finale Kapitel heißt Fachada de la Gloria
Als abschließendes großes Werk entsteht die Fachada de la Gloria, die Südfassade, die Hölle und Himmel darstellt, auch sie mit vier Türmen bewehrt, sodass es am Ende, in zehn bis zwölf Jahren, wenn keine Pandemie dazwischenkommt, 18 sein werden.
Die Südfassade grenzt an die Calle Mallorca, und unter der Calle Mallorca verläuft in 30 Metern Tiefe seit zwölf Jahren ein Schnellbahntunnel, dessen Bau und Betrieb der Kirche bisher, anders als befürchtet, keinen Schaden zugefügt haben. Nicht die Eisenbahn raubt den Anwohnerinnen und Anwohnern den Schlaf, sondern die Sagrada Família. Denn die braucht Platz, wenn eine wahrscheinlich auf Gaudí zurückgehende Idee verwirklicht werden soll: vor der Fachada de la Gloria, der künftigen Hauptfassade, eine großzügige Esplanade zu schaffen.

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Dafür müssten etliche Dutzend Wohnhäuser abgerissen werden. Beim Blick auf den Stadtplan ist das eine gute Idee, die Sagrada Família braucht Luft. Der Blick aus einem Wohnzimmerfenster in der Calle Mallorca verändert die Perspektive. Die Stadtverwaltung zögert. Im kommenden Jahr soll gefeiert werden, und zwar lieber ohne Anwohnerproteste. Wenn dann noch der Papst käme, wäre die Sagrada Família endlich mal wieder, einige Stunden lang, ganz und gar Kirche.
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