Vom Tierarzt zum YouTube-Star: „Ich kann so mehr für die Tiere bewegen als in einer Klinik“

Karim Montasser betreibt seit 2018 den Youtube-Kanal „Der Tierarzt".
Quelle: Haensel/RND (Montage), Fotos: Youtube/Der Tierarzt/K. Montasser
Karim Montasser hat an der Liebig-Universität Gießen Tiermedizin studiert und anschließend promoviert. Er arbeitete an der Uniklinik Gießen, bevor er sich dazu entschied, als praktizierender Mediziner aufzuhören. Seit 2018 klärt er auf seinem YouTube-Kanal „Der Tierarzt“ über verschiedene Themen aus der Veterinärmedizin auf. Außerdem hat der 37-Jährige einen Bestseller geschrieben, tritt als TV-Moderator auf und ist Mitgründer der gemeinnützigen Organisation „vetivolution“, die sich für die mentale Gesundheit von Tierärztinnen und Tierärzten einsetzt.
Herr Montasser, warum haben Sie Tiermedizin studiert?
Also das grundsätzliche Interesse an Tieren war schon immer da. Dann habe ich damals, als es noch die Wehpflicht gab, Zivildienst im Rettungsdienst gemacht und fand Medizin cool. Und dann war so ziemlich klar, dass es die Kombination aus Tierliebe und Medizin werden soll – und so bin ich da gelandet.
Wie kam es dazu, dass Sie auf YouTube aktiv wurden?
Ich arbeitete in der Uniklinik in der Neurochirurgie. Da werden Operationen gemacht und Tiere untersucht. Der Arbeitsalltag war genauso, wie man sich das vorstellt. Aber eine 60- bis 80-Stunden-Woche war für mich, zumindest über einen längeren Zeitraum, nicht mehr umsetzbar. Mir ging es während dieser Zeit sehr schlecht. Deshalb bin ich gegangen. Heute kann ich viel mehr bewegen – und unabhängig kritisch darüber sprechen. Ich bilde mir ein, dass ich so mehr für Tiere bewegen kann, als wenn ich an der Uniklinik geblieben wäre.
Laut einer Studie der FU Berlin und der Universität Leipzig haben 19,2 Prozent der befragten Tierärzte und Tierärztinnen Suizidgedanken und viele leiden unter psychischen Belastungen. Auf Ihrem YouTube-Kanal berichten Sie, dass mentale Gesundheitsprobleme häufig schon im Studium beginnen. Was sind die Gründe dafür?
Das ist komplex. Wir haben im Beruf massive mentale Gesundheitsprobleme. Und das beginnt schon im Studium, weil man hier sehr intrinsisch motivierte Menschen hat. Das heißt Leute, die aus der Schule kommen, die dort sehr gute Noten hatten, die dann voller Idealismus sind und Tieren helfen wollen. Und die werden dann mit der Realität konfrontiert. Sie merken schnell, dass es im Studium nicht primär darum geht. Das führt dazu, dass viele die eigenen Gefühle unterdrücken, um besser zu funktionieren. Und dass das so antrainiert wird, ist das grundlegende Problem, das dann zu diesen mentalen Gesundheitsproblemen führt.

Karim Montasser, ehemaliger Klinik-Tierarzt und heute als "Der Tierarzt" auf YouTube bekannt.
Quelle: Privat
Hat sich mittlerweile was daran geändert, wie man mit mentalen Problemen umgeht?
Ich darf einmal im Jahr in Gießen eine Vorlesung zur mentalen Gesundheit halten und da sitzen dann Erst- und Zweitsemester der Tiermedizin, die total klug und aufgeschlossen sind und vor allem für sich einstehen. Also das Wissen über mentale Gesundheit, über die eigenen Grenzen, über die eigenen Wertvorstellungen ist bei jungen Menschen heute, so habe ich den Eindruck, viel ausgeprägter als das noch in meiner Generation ist.
Viele Tierärztinnen und Tierärzte klagen im Berufsalltag über lange Arbeitszeiten, Notdienste oder emotionale Belastungen aufgrund von Tier- und Menschenschicksalen. Ist es anstrengender, in einer Tierklinik oder in einer Praxis zu arbeiten?
Das lässt sich nicht so pauschalisieren. Das hängt tatsächlich sehr vom Führungsstil ab und wie die Führungsetage das lebt.
Ihre Organisation „vetivolution“ berät Tierärztinnen und Tierärzte zum Thema mentale Gesundheit. Was stresst die Mediziner besonders?
Das sind tatsächlich die in Ihrer vorherigen Frage genannten Faktoren. Besonders die hohe emotionale Anforderung an den Umgang mit den Tierhalterinnen- und haltern wird genannt.
Angestellte Veterinäre verdienen laut dem Bund angestellter Tierärzte durchschnittlich 20,51 Euro brutto pro Stunde. Im Vergleich zu anderen akademischen Berufen, etwa der Humanmedizin, ist das ziemlich wenig. Warum?
Das Problem ist, Einstiegsmöglichkeiten zu finden, die okay bezahlt sind. Mittlerweile wurden die Gehälter angepasst. Da tut sich schon etwas, weil es einfach sehr viel Druck gab und die Leute den Beruf aufgegeben haben. Die Kliniken und auch die Praxen konkurrieren jetzt um jede Tierärztin und jeden Tierarzt. Aber richtig gut sind die Gehälter immer noch nicht.
Laut einer internationalen Studie des Pharmaunternehmens Boehringer Ingelheim glauben nur 49 Prozent der Veterinärinnen und Veterinäre, dass ihr Beruf wertgeschätzt wird. Mehr als die Hälfte sieht das anders, warum?
Ich denke, das ist wegen der Arbeitsbedingungen, aber auch weil es ja immer noch ein Cash-Geschäft ist, wenn man Hunde und Katzen behandelt. Die Leute kommen mit ihren Tieren in die Praxis, dort werden sie behandelt und dann muss man sich als Mediziner rechtfertigen, warum das denn Geld kostet – und wie viel Geld es kostet. Das ist natürlich über die Gebührenordnung geregelt, man denkt sich die Preise ja nicht aus, sondern sie sind ja in einer Tabelle aufgelistet. Trotzdem muss man sich dafür rechtfertigen, weil die Leute das unmittelbar selbst bezahlen – weil die meisten Tiere keine Krankenversicherung haben. Und das ist anders als beispielsweise in England, wo über 90 Prozent der Tiere krankenversichert sind. Dort ist es nicht so ein richtiges Thema. Und dieses ewige tägliche Rechtfertigen für den Preis der eigenen Leistung, das macht ganz schön mürbe und nagt am Selbstwertgefühl.
Was müsste sich ändern?
Tierärzte und Tierärztinnen sind in Deutschland eigentlich gut angesehen. Das hört aber an der Kasse schnell auf. Daher denke ich, dass eine höhere Versicherungsquote hilfreich wäre.
Auf Ihrem YouTube-Kanal berichten Sie, dass das Tiermedizinstudium ganz anders aufgebaut ist, als man sich das vielleicht vorstellt. Inwiefern?
Ja, also das grundsätzliche Missverständnis ist, das glaube ich zumindest, dass es nicht primär um Hund, Katze und um die Pferde geht, sondern es geht primär um tierische Lebensmittel. Und das hat mich als Studierender überrascht, und ich weiß von vielen anderen, denen es auch so ging. Man beschäftigt sich im Studium sehr viel mit Milch, mit Wurst und mit Stallhygiene und sowas, dafür weniger mit Krankheiten der Tiere.
Wie ist das Studium denn dann konkret aufgebaut?
Das ist wie in der Humanmedizin, man hat auch erst einmal einen theoretischen Vorbau. Das sind zwei Jahre bis zum Physikum, danach geht man in den klinischen Bereich. Nach dem sechsten Semester gibt es das erste frei wählbare Praktikum und dann gibt es kurz vor Schluss noch einmal ein praktisches Jahr. Da rotiert man dann durch verschiedene selbstgewählte Praktika und Kliniken. Dazu gehört auch, dass man in den Schlachthof geht, Lebensmittelsicherheit kontrolliert, im Veterinäramt arbeitet und dass man die Virologie und Bakteriologie in der Tiermedizin an der Uni besucht.
Sie mussten während des Studiums also auch im Schlachthof arbeiten?
Genau, das müssen alle Studierenden der Tiermedizin machen, sonst gibt es keine Approbation. Und das ist genau der Knackpunkt: Alle müssen da durch, alle müssen diese drei Wochen Praktikum im Schlachthof machen. Das Problem ist nur, dass es nichts mit dem späteren Alltag eines Tierarztes oder einer Tierärztin zu tun hat, wie auch der Milchkurs oder die Fleischhygiene.
Warum gibt es denn so viele Inhalte, die sich auf Lebensmittelhygiene beziehen?
Die erste tiermedizinische Hochschule gab es 1761 in Lyon. Und da ging es explizit darum, die Rinderpest in Europa zu bekämpfen. Es ging also nicht darum, die Rinder zu schützen, sondern darum, die Versorgung mit Rindfleisch für die Menschen zu sichern. Jahrhundertelang war der einzige Job der Tiermedizin, sicherzustellen, dass Tiere, die wir essen oder deren Produkte wir konsumieren, sicher für den menschlichen Verzehr sind. Deshalb arbeiten Studierende seit dem späten 19. Jahrhundert in Schlachthöfen.
Und die Behandlung von Tieren kam dann also erst später dazu?
Genau. Dieser ganze Aspekt, dass man sich um Hunde und Katzen kümmert, ist relativ neu. Natürlich gab es auch in den 1980ern schon Hunde- und Katzentierärzte. Aber dass darauf der Fokus gelegt wurde und dass die meisten Studierenden in diesen Bereich wollen, das ist seit den frühen 2000ern so.
Sie kritisieren das Tiermedizinstudium auch öffentlich auf Ihrem YouTube-Kanal sehr stark …
… weil ich ein Problem damit habe, dass so getan wird, als wäre noch alles wie vor 100 Jahren. Es wird immer noch so getan, als gehöre es zu unserer Rolle, Lebensmittelsicherheit zu kontrollieren. Wir setzen uns dann ja nicht für die Tiere ein, sondern wir setzen uns für die Menschen ein. Das ist das Absurde, finde ich, und deshalb kritisiere ich das, weil ich das ändern möchte. Das, was ich fordere, ist eine Diskussion darüber, und die findet eben noch nicht statt.
Warum gibt es einen so hohen Numerus Clausus (NC) auf das Studienfach Tiermedizin?
Weil sich deutlich mehr Menschen für das Studium bewerben, als es Plätze gibt. Der NC trifft keine Aussage über den Anspruch des Studiums, sondern lediglich über das Verhältnis Bewerbungen/Plätze.
Der Abiturschnitt ist bei jungen Frauen oft viel besser als bei ihren männlichen Mitschülern. Hat der hohe NC zur Folge, dass auch überwiegend junge Frauen in das Studium gehen?
Das ist eine sehr gute Frage. Die besseren Noten sind zumindest ein Teil der Erklärung. Hinzu kommt, dass früher vor allem Männer aus landwirtschaftlichen Betrieben Tiermedizin studiert haben. Ab den 2000ern sind es primär weibliche Studierende aus städtischen Bereichen.